Überblick
- Freiwillige Zielvorgaben haben kaum zu nennenswerten Änderungen bei der Produktion und Verwertung von Kunststoffen geführt – deshalb wird es in naher Zukunft zu einer stärkeren Regulierung kommen
- In Kombination mit einer weit verbreiteten kritischen Haltung gegenüber der fortgesetzten Produktion und Verwendung von Kunststoffen könnten sich hieraus sehr bald steigende Kosten für verbrauchernahe Unternehmen ergeben – insbesondere, wenn sie bisher kaum Fortschritte gemacht haben
- Mehrere Lösungsansätze sind denkbar, z. B. Substitution, verbesserte Sortierung und chemisches Recycling – doch in jedem Fall werden die kommenden Änderungen sowohl die Risiken als auch die Chancen für Unternehmen und Anleger erhöhen
Einführung
Auch wenn Verbraucher, Unternehmen, NGOs und Regierungen dem Thema in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit geschenkt haben, ist die weltweite Kunststoffproduktion weiter angestiegen. Zugleich haben auch die damit einhergehenden Probleme durch Abfall und Umweltverschmutzung weiter zugenommen. Unserer Ansicht nach könnte 2024/25 ein Wendepunkt in Bezug auf diese Thematik sein, an
dem wir zahlreiche Meilensteine erleben werden. Dazu gehören Fristen für freiwillige Unternehmensziele und für neue Vorschriften, der mögliche
Abschluss eines UN-Abkommens über Kunststoffe und der Aufbau neuer
Kapazitäten rund um das chemische Recycling von Kunststoffen.
Freiwillige Zielvorgaben haben kaum Fortschritte gebracht…
Seit 2020 haben sich verbrauchernahe Unternehmen unter dem Dach der Ellen MacArthur Foundation und im Rahmen von Initiativen wie dem Plastics Pact freiwillig dazu verpflichtet, Kunststoffe stärker wiederzuverwerten. In der Praxis wurden Fortschritte bislang jedoch
nur sehr langsam erzielt. Bei den meisten Unternehmen klafft eine große Lücke zwischen dem derzeitigen Anteil an wiederverwerteten
Kunststoffen und den Zielen für 2025 (die in der Regel einen Recyclinganteil von 25% vorsehen). Hierfür gibt es zahlreiche Gründe: der
Ausbau der petrochemischen Kapazitäten in China, der kostengünstigere Kunststoffimporte angeheizt hat; die anhaltenden Probleme bei der Sammlung von wiederverwertbaren Kunststoffen und der resultierende Mangel an geeignetem Ausgangsmaterial, insbesondere mit Blick auf
lebensmittelechte und flexible Kunststoffe; und nicht zuletzt die Inflation, durch die es für Unternehmen schwieriger geworden ist, Aufschläge für wiederverwertete Kunststoffe einzupreisen. Infolgedessen sind die
meisten Konsumgüter- und Verpackungsunternehmen von den Zielen
für 2025 immer noch weit entfernt (Abbildung 1).
Abbildung 1: langsame Fortschritte bei der Verwendung von wiederverwerteten Kunststoffen unter den 20 größten auf schnelllebige Konsumgüter spezialisierten Unternehmen
Quelle: Ellen MacArthur Foundation, Unternehmensberichte, CTI-Analyse, 2024
... sodass nun auf stärkere Regulierung gesetzt wird
Der Mangel an Fortschritten bedeutet keineswegs, dass das Problem an Bedeutung verliert; vielmehr zieht es immer mehr Aufmerksamkeit
auf sich. So gibt es weltweit breite Unterstützung für die beschleunigte Verabschiedung eines UN-Abkommens über Kunststoffe. Überdies gibt
es eine zunehmende Zahl von Vorschriften, die Schwellenwerte für die Wiederverwertung von Kunststoffen auferlegen oder Steuern auf
neu produzierte Kunststoffe einführen. Hinzu kommen die seit kurzem geltende EU-Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle und
der kalifornische Plastic Pollution Prevention and Packaging Producer
Responsibility Act.
Das Ausmaß des aktuellen Wandels ist beträchtlich. Märkte von Australien über Indien und Europa bis hin zu mehreren US-Bundesstaaten, die zusammen 30% des weltweiten BIP ausmachen, haben Vorgaben für den Anteil an wiederverwerteten Kunststoffen in Verpackungen für 2025 festgelegt. Bislang mussten Unternehmen nur wenige Konsequenzen für die Nichteinhaltung freiwilliger Ziele hinnehmen, doch am Horizont zeichnen sich weitere Sanktionsmaßnahmen ab (Abbildung 2).
Abbildung 2: Übergang von freiwilligen Verpflichtungen zu aufsichtsrechtlichen Richtlinien
Quelle: Analyse von Columbia Threadneedle, Februar 2024
Welche Lösungen gibt es?
Wir sind der Ansicht, dass die negative Haltung der Verbraucher in Bezug auf Kunststoffe und die vielen bevorstehenden Fristen für gesetzliche und freiwillige Ziele zu erhöhten Kosten für verbrauchernahe Unternehmen führen werden, insbesondere für diejenigen, die keine ausreichenden Fortschritte gemacht haben. Die Kosten können in Form von höheren Preisaufschlägen für wiederverwertete Kunststoffe, Investitionen für die Umstellung von Verpackungsanlagen (z. B. von flexiblen Kunststoffen auf flexibles Papier) sowie Steuern
und Gebühren zur Finanzierung von Investitionen im Bereich der
Kunststoffwiederverwertung (z. B. im Rahmen der erweiterten
Herstellerverantwortung1 (extended producer responsibility, PR)) anfallen.
Parallel dazu ist zu erwarten, dass potenzielle Lösungen stärker in den Fokus rücken werden, d. h. die Substitution von Materialien, die
Verbesserung der Abfalltrennung und das chemische Recycling.
Substitution von Materialien
Die Substitution von Kunststoff durch andere Verpackungsmaterialien wird sich wahrscheinlich im weiteren Verlauf des Jahrzehnts beschleunigen – insbesondere bei Kunststoffen, die nur eine geringe
Recyclingfähigkeit aufweisen oder eine spezielle Recycling-Infrastruktur erfordern sowie Kunststoffarten, für die wiederverwertbares Material nur
sehr eingeschränkt verfügbar ist.
Es gibt mehrere Katalysatoren für diesen Wandel:
Recyclingfähigkeit Wenn sich die Recyclingquoten von Kunststoffen nicht verbessern, werden Kunststoffverpackungen möglicherweise
die Bedingungen für eine fortgesetzte Akzeptanz auf dem Markt nicht mehr erfüllen
Preisgestaltung Steuern auf neu produzierte Kunststoffe und EPR‑Gebühren für Kunststoffverpackungen können dazu führen, dass sich das Preisgefälle zwischen Kunststoffen und anderen Materialien verringert
Verfügbarkeit Wenn wiederverwertete Kunststoffe weiterhin knapp sind, kann dies zu einer Umstellung führen
Stimmung Verbraucher haben weiterhin eine negative Haltung zu Kunststoffverpackungen
Der Substitutionstrend wird wahrscheinlich Verpackungsunternehmen zugute kommen, die mit Papier sowie Zellstoff, Aluminium und Glas
arbeiten. Wir gehen davon aus, dass speziell die Umstellung von Kunststoffen auf Papier ein Wachstumsbereich sein wird. Im Rahmen
dieser Umstellung müssen die Unternehmen auch andere potenzielle negative Folgen abfedern, etwa im Zusammenhang mit Abholzung, Gefährdungen der biologischen Vielfalt und Wasserverschmutzung.
Investitionen in Sortiertechnologien
Chemisches Recycling
Die geringe Verfügbarkeit von wiederverwertbaren lebensmittelechten Kunststoffen und die großen Mengen an Kunststoffabfällen, die nicht
zur Wiederverwertung geeignet sind (z. B. aufgrund von Farbstoffen oder Verunreinigungen), lenken die Aufmerksamkeit auf Technologien, die das Potenzial haben, beide Herausforderungen durch chemisches Recycling zu bewältigen. Dabei handelt es sich um eine Reihe von unterschiedlichen Recyclingverfahren wie Methanolyse, Pyrolyse und enzymatische Hydrolyse. Während das Material beim werkstofflichen Recycling gereinigt, zerkleinert, geschmolzen und zu Harz umgeformt wird, beruht das chemische Recycling auf intensiveren Verfahren. Die Kunststoffabfälle werden dabei bis auf die Monomerebene oder zu Pyrolyseöl aufgespalten, einem petrochemischen Rohstoff, der weiterverarbeitet und als Ersatz für Naphtha bei der Herstellung neuer Kunststoffe verwendet werden kann. Chemisches Recycling ist eine Schlüsselkomponente der Strategien, die globale Chemieunternehmen einsetzen, um den Forderungen ihrer Kunden nach einer kreislauforientierten Produktion und einer Wiederverwertung von Kunststoffen nachzukommen (Abbildung 3).
Abbildung 3: Zielvorgaben für Polymer-Recycling
Quelle: Unternehmensberichte, Schätzungen der Minderoo Foundation zur Polymerproduktion,
Stand März 2024. Die Erwähnung bestimmter Aktien stellt keine Handelsempfehlung dar
Chemisches Recycling ist zwar ein vielversprechender Ansatz, doch
es gibt dabei auch potenzielle Herausforderungen. Es bedarf einer größeren Klarheit der rechtlichen Rahmenbedingungen und verstärkter
Bemühungen, die Treibhausgasemissionen bei einigen Verfahren wie der Pyrolyse zu reduzieren. Jüngste Analysen der Gemeinsamen
Forschungsstelle der EU haben gezeigt, dass die Emissionen bei der Pyrolyse über den Lebenszyklus hinweg insgesamt höher sind
als bei mechanischen Recyclingverfahren und anderen chemischen Recyclingverfahren (Abbildung 4). Neuere Innovationen wie die
mikrowellenunterstützte Pyrolyse und die hydrothermale Pyrolyse könnten das Potenzial haben, die Emissionen zu reduzieren. Die Verbreitung chemischer Recyclingverfahren ließe sich zudem auch vorantreiben, indem Klarheit über den politischen Rückhalt geschaffen wird – etwa hinsichtlich der Unterstützung für einen „Massenbilanz“- Ansatz in Bezug auf wiederverwertete Kunststoffe im Produktionsmix der Unternehmen und bei der Produktkennzeichnung sowie hinsichtlich der
Frage, ob die Wiederverwertung von Material durch chemisches Recycling auf die Recyclingziele in der EU angerechnet werden kann. Trotz der Herausforderungen gibt es Anzeichen, dass Fortschritte gemacht werden. So hat der Spezialwerkstoffhersteller Eastman etwa
kürzlich bekanntgegeben, dass mit der Produktion in seiner Anlage in Kingsport/Tennessee mittlerweile Umsätze generiert werden.
Abbildung 4: Emissionen von Recyclingverfahren über den gesamten Lebenszyklus hinweg nach EU-Angaben
Quelle: Gemeinsame Forschungsstelle der EU, 2024
Fazit
Zweifellos liegen noch viele Hürden vor uns – und sie sind nicht zu unterschätzen, denn bisher kommen wir bei der Bewältigung der Kunststoffproblematik nur sehr langsam voran. 2024/25 könnten wir
jedoch den Punkt erreichen, an dem deutlichere Fortschritte einsetzen. Eine solche Entwicklung wird sowohl die Risiken als auch die Chancen
für Unternehmen und Anleger erhöhen.