Als ich in den 1990er-Jahren in
einem Vorort von Boston aufwuchs,
gab es ein paar Gewissheiten in
meinem Leben: Die Red Sox werden
nie eine World Series gewinnen,
Mädchen, die Mathematik mögen,
sind einfach nicht cool und rosa
Kleidung ist immer angesagt. Eine
eher esoterische „Wahrheit“ war
damals die Überzeugung, dass
sich gesellschaftliche Initiativen
und Kapitalallokation gegenseitig
ausschließen.
Heute schreibe ich
diesen Artikel mit meinem schrillsten
rosa Schal um den Hals und bin froh,
dass nur eine dieser „Gewissheiten“
immer noch besteht: ein subtiles, aber
mächtiges Bewusstsein einer Welt
im Wandel, in der Kapitalanleger es
zunehmend als vorteilhaft betrachten,
ihre Anlageentscheidungen im Rahmen
eines ganzheitlichen Prozesses an gesellschaftlichen Trends auszurichten,
um die Anlageergebnisse und
die Gesellschaft gemeinsam zu
verbessern.
In den vergangenen Jahren wuchs
unter Vermögensverwaltern die
Unterstützung für Investmentansätze,
die in der Vergangenheit als „nicht
finanziell“ betrachtete Faktoren wie den
Klimawandel und jede Form von Vielfalt
besser beurteilen und einbeziehen.
Aufgrund der zunehmenden Belege
dafür, dass die Berücksichtigung
solcher Faktoren dazu beitragen
kann, für den Umgang mit den
Risiken, Herausforderungen
und Wachstumschancen eines
Unternehmens besser geeignete
Anlagen zu identifizieren, ist immer
klarer geworden, dass wir es nicht
mehr mit der „Wert versus Werte“-
Debatte von einst zu tun haben,
sondern mit einer außergewöhnlichen
und aufregenden Definitionsänderung,
wonach Faktoren, die in der
Vergangenheit von vielen als nicht
finanziell betrachtet wurden, jetzt
objektiv wesentlich sind.
So kam
Aon vor Kurzem zu dem Ergebnis,
dass „die Integration von ESG in
den Investmentprozess und die
Investmentstrategie von Natur aus
mit treuhänderischer Pflicht und
Handeln im besten langfristigen
Interesse der Stakeholder in Einklang
steht“.1 Folgen wir dem Pfad der
Konvergenz von gesellschaftlichen
Initiativen und Kapitalallokation
– eine Integration, welche die
Anlageentscheidungsfindung
neu definiert.
Bei Columbia
Threadneedle Investments haben
wir festgestellt, dass unsere eigenen
Ratings für verantwortliches Investieren
(RI) einen potenziellen langfristigen
Wettbewerbsvorteil ähnlich effektiv
signalisieren. Angesichts dieser
Erweiterung des Investmentresearchs
um neuerdings für wesentlich
befundene Einflussfaktoren eines
Risiko-Rendite-Profils ist selbst der
kapitalistischste Anleger gefordert,
seinen Ansatz zu überdenken,
wenn er mit den sich entwickelnden
Markttreibern Schritt halten will.
Das nachhaltig investierte Vermögen
ist in den vergangenen zwei Jahren
weltweit um 15 % gestiegen,2 36 % des
gesamten professionell verwalteten
Vermögens wird heute nachhaltig
verwaltet, und neuesten Prognosen
zufolge könnten nachhaltige Anlagen
bis 2025 auf weltweit 13 Bio. USD
steigen,3 mehr als das Vierfache
des Gesamtvolumens von Ende
2020. Offensichtlich sind hier starke
Kräfte am Werk, welche die globalen
Kapitalmärkte formen, die Veränderung
beeinflussen und auf eine Branche im
Wandel hinweisen.
Politische und regulatorische
Entwicklungen tragen ebenfalls zur
Integration von gesellschaftlichen
Initiativen und Kapitalallokation
weiter bei, da Themen wie der
Klimawandel in Washington,
DC und weltweit zunehmend ins
Rampenlicht rücken. Auch hier
können Unternehmen, die antizipieren
können und bei Themen wie
Nachhaltigkeit und Berichterstattung
Verbesserungen vornehmen, bevor
die Regierung Richtlinien erlässt, die Gelegenheit ergreifen, erhebliche
Wettbewerbsvorteile zu schaffen
und zu vertiefen.
In den USA zum
Beispiel wird die Verknüpfung
zwischen den Vorschriften für
nachhaltiges Investieren und
treuhänderischer Verpflichtung immer
enger. So gab das Arbeitsministerium
vor Kurzem die Entscheidung
bekannt, von der Durchsetzung
einer Vorschrift abzusehen,
die Rentenversicherungsträger
wie Anbieter von 401(k)-Plänen
verpflichtet, durch die Ergreifung
und Dokumentation bestimmter
Maßnahmen zu belegen, dass sie bei
Investitionen in Instrumente mit ESGBezug keine finanzielle Rendite opfern.
Desgleichen hat der Aktionsplan der
Europäischen Union zur Finanzierung
nachhaltigen Wachstums neue, in der
Gesetzgebung verankerte Definitionen
für nachhaltiges und verantwortliches
Investieren festgelegt, die durch eine
internationale Nachhaltigkeitsagenda
verstärkt werden, welche die Rolle
des Finanzwesens bei der Bewirkung
signifikanter Änderungen durch globale
Vereinbarungen wie das Pariser
Klimaschutzabkommen und die
UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung
deutlich macht.
RI umfasst viele wichtige Themen.
Eines davon ist Vielfalt. Das ist eine
weitere Initiative, die zu Recht und
mit Macht in den Mittelpunkt gerückt
ist, als neue Studien ergaben, dass
Unternehmen mit vielfältigen Teams
bessere Entscheidungen treffen.
Es mangelt nicht an Daten, die die einfache Tatsache belegen, dass
vielfältige Hintergründe, Erfahrungen
und Weltanschauungen einen
Mosaikansatz fördern können, der die
Unternehmensstrategie verbessert.
Zum Beispiel fand Willis Towers Watson
vor Kurzem heraus, dass „vielfältige,
insbesondere ethnisch vielfältige
Investmentteams in der Regel höhere
Überschussrenditen erwirtschaften“.4
Vielfältige Umgebungen werden
inzwischen zu Recht angestrebt, um
Aufgeschlossenheit und Innovation
zu fördern; integrative Kulturen gelten
als Fundament von Kreativität und
Weitsicht. Wir kennen die Statistiken
dazu:
Fortune-500-Unternehmen mit
einem höheren Frauenanteil im Board
übertreffen ihre Mitbewerber um 53 %
und Unternehmen, die in Bezug auf
Inklusion und Vielfalt hoch eingeschätzt
werden, haben mit einer um 70 %
höheren Wahrscheinlichkeit an neuen
Märkten Erfolg und steigern mit einer
um 45 % höheren Wahrscheinlichkeit
ihren Marktanteil.5 Sowohl zu sozialen
Faktoren wie Vielfalt als auch zu
Umweltfaktoren wie dem CO2-Verbrauch
gibt es reichlich Daten, die die
eindeutige Übereinstimmung dieser
in der Vergangenheit nicht finanziellen
Faktoren mit einer soliden und
vertretbaren Investmentthese belegen.
Das mag zwar heute offensichtlich
erscheinen, ist aber der Aha-Moment.
Vor 30 Jahren – ja noch vor fünf
Jahren – wäre die Vorstellung auf
Unverständnis gestoßen, dass
gesellschaftliche Ambitionen
ein wichtiger Bestandteil einer
erfolgreichen Fundamentalanalyse
sein könnten, da sie quantifizierbare
Quellen eines Wettbewerbsvorteils
für Anleger und Vermögensverwalter
enthalten.
Ein solcher Wandel bei
Kapitalallokationsentscheidungen ist
in unserer Branche so selten, dass
wir innehalten und uns vor Augen
führen müssen, dass wir bei einem
neuen Paradigma angekommen
sind – einem neuen sozialen
Zweck der Vermögensverwaltung.
Anstelle von Sozialstunden und
Zuwendungen für gute Zwecke
(die immer noch großartige Dinge
sind!) sprechen wir jetzt über eine
treuhänderische Pflicht, solche
Erkenntnisse als essenzielle Inputs in
Researchprozesse einzubeziehen und
dadurch die Fähigkeit zu verbessern,
die Unternehmen mit den besten
Aussichten auf nachhaltige, langfristige
Renditen zu identifizieren.
Der soziale Zweck der
Vermögensverwaltung endet
jedoch nicht mit der Einbeziehung
gesellschaftlicher Erkenntnisse
in solide Investmentprozesse.
Wenn wir diese Faktoren für
renditesteigernd halten, wird klar, dass
die Vermögensverwalter nicht nur
verpflichtet sind, sie zu identifizieren
und einzubeziehen, sondern
gesellschaftliche Initiativen, die unseres
Erachtens die Anlagerendite erhöhen
können, wie etwa Diversitäts- oder
ESG-Initiativen, anführen müssen.
Wenn wir in diesen Bereichen ungenutztes Wertschöpfungspotenzial sehen, sind wir als Treuhänder verpflichtet, an seiner Erschließung mitzuwirken.
Bei dieser Argumentation kann
jedoch leicht übersehen werden,
dass dieser soziale Zweck der
Vermögensverwaltung auch nicht
vor unserem eigenen Glashaus Halt
macht. Letztlich müssen wir, wenn wir
mit unserer Überzeugung glaubwürdig
sein wollen, auch uns selbst diesen
Spiegel vorhalten, um sicherzustellen,
dass wir ebenfalls auf dem Weg sind,
den Standards gerecht zu werden, die
wir für unsere Portfoliounternehmen
setzen.
Das bedeutet, weiterhin auf
die Relevanz dieser entscheidenden
Faktoren hinzuweisen, bis es übliche
Praxis ist, diese wesentlichen
Überlegungen in jede Faser unserer
Kultur zu integrieren. Es bedeutet,
das Umweltbewusstsein für unseren
eigenen CO2-Verbrauch zu fördern,
die Privatsphäre unserer Netzwerke
weiter zu stärken, Reglemente mit
Transparenzanforderungen öffentlich zu
unterstützen, unsere eigenen Daten zu verstehen und weiterzugeben und
für echte Vielfalt in unseren Teams
zu sorgen.
Dabei mit gutem Beispiel
voranzugehen, kann schnell als
Odyssee erscheinen, bei der zahlreiche
komplexe Faktoren zu entwirren sind.
Doch als Treuhänder müssen wir
diesen in unserer Hand liegenden
sozialen Zweck als zusätzliches
Instrument zur langfristigen
Wertsteigerung angehen, auch wenn
diese uns selbst zugutekommt.
Wie so
viele Dinge beginnt der Weg nach vorn
oft mit der einfachen Einsicht, dass
Veränderung im Inneren beginnt, mit
der Anerkennung kleiner Wahrheiten
und der Festlegung erreichbarer Ziele
für eine wesentliche Veränderung,
egal, wie viel Glas unterwegs
zerbrechen könnte. Für mich besteht
dieser erste kleine Schritt darin, die
gewisse Wahrheit zu preisen, die jener
Baseballfan aus der Bostoner Vorstadt
erst Jahrzehnte später in Worte fassen
konnte: Mädchen, die Mathematik
mögen, sind ohne Zweifel cool.