Das Coronavirus ist eine soziale Problematik mit gravierenden Auswirkungen auf das öffentliche Leben und die Gesundheit der Weltbevölkerung. Die Kapitalmärkte haben auf diese Herausforderung mit der Ausgabe sozialer Anleihen im Wert von über 9 Mrd. US-Dollar in den letzten drei Wochen reagiert, allesamt von supranationalen Organisationen. Der Handlungsspielraum ist jedoch nicht ausgeschöpft, sodass sich den Regierungen eine wichtige Chance bietet, ebenfalls von dieser Anlageform Gebrauch zu machen.
Bei Anlageentscheidungen unter Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und Governance-Kriterien (ESG) stehen häufig die markanteren Umwelt- und Governance-Aspekte im Vordergrund, während das soziale Anleihesegment ein Schattendasein führt. Grund dafür ist unter anderem, dass sich die Umwelt- und Governance-Kriterien eines Unternehmens leichter ermitteln lassen. Zum Beispiel können wir relativ einfach die Kohlenstoffemissionen von Flugzeugen oder die personelle Diversität in Vorständen bestimmen. Bei sozialen Belangen ist die Beurteilung jedoch etwas schwieriger. Zur Stärkung einer Wirtschaft beispielsweise ist die Schaffung von Arbeitsplätzen von entscheidender Bedeutung. Wir müssen dabei jedoch die Qualität der geschaffenen Jobs nachvollziehen können, die sich in der Behandlung und Vergütung von Arbeitskräften widerspiegelt. Ungeachtet dessen treten wir möglicherweise nunmehr in eine Phase ein, in der soziale Investments in den Vordergrund rücken..
Messung des anlegerinteresses
Die Anleihemärkte sind seit jeher ein erstklassiger Gradmesser für das Anlegerinteresse an ESG-Aktivitäten, das sich anhand der Ausgabe von grünen, sozialen und nachhaltigen Anleihen ermessen lässt. Diese Papiere werden als Anleihen mit „spezifischer Verwendung der Emissionserlöse“ definiert. Diese fließen also ausschließlich in vorab festgelegte Umwelt-, Sozial- oder Nachhaltigkeitsprojekte (eine Mischung aus Ökologie und Sozialem). Das Segment ist in den letzten Jahren rasant auf ein Emissionsvolumen von über 800 Mio. US-Dollar angewachsen (Abbildung 1).
Wenig überrascht dabei, dass grüne Anleihen in diesem Universum bislang dominieren. Die Emittenten haben also Anleihen vor allem zur Finanzierung von Umweltprojekten begeben. Im sozialen Anleihesegment beläuft sich das Emissionsvolumen, maßgeblich vorangetrieben durch die International Capital Market Association (ICMA), auf über 56 Mrd. US-Dollar, womit Projekte zur Eindämmung der COVID-19-Bedrohung finanziell unterstützt werden.
Abbildung 1: Emission von grünen, sozialen und nachhaltigen Anleihen (per 02. April 2020)
Mrd. USD | Grün | Nachhaltig | Sozial | Total |
---|---|---|---|---|
Emissionen 2019 | 220.6 | 47.7 | 17.3 | 285.5 |
Emissionen 2020 (lfd. Jahr) | 42.2 | 15.3 | 12.0 | 68.5 |
Ausstehender Betrag | 649.5 | 97.6 | 56.7 | 801.8 |
Die supranationale Gemeinschaft stellt bereits finanzielle Mittel im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie zur Verfügung. So wurden in den vergangenen drei Wochen1 Anleihen im Wert von über 9 Mrd. US-Dollar emittiert: der IFC Social Bond, der IADB Sustainability Bond, der African Development Bank Social Bond, der Nordic Investment Bank Response Bond sowie zuletzt die Anleihen der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Entwicklungsbank des Europarates (CEB), die bei einem Emissionsvolumen von je 1 Mrd. Euro 5,9- bzw. 3,9-fach überzeichnet waren. Mit diesen Anleihen wird insgesamt Kapital für Produkte und Dienstleistungen beschafft, die zur Verbesserung des Gesundheitszustands und zum Erhalt des Lebensstandards in COVID-19-geschädigten Gemeinschaften beitragen.
Abbildung 2: COVID-19-spezifische Verwendung der Emissionserlöse per 02. April 2020
Emittent | Art der Anleihen | Erlösverwendung |
---|---|---|
Afrikanische Entwicklungsbank (AFDB) | Sozial | Die Erlöse werden entsprechend dem Social Bond Program der AFDB verwendet, um Staaten und Unternehmen im Kampf gegen COVID-19 zu unterstützen und ihnen Finanzierungsmöglichkeiten bereitzustellen. |
Interamerikanische Entwicklungsbank (IADB) | Nachhaltig | Die IADB stellt bis zu 2 Mrd. US-Dollar für Länder bereit, die Unterstützung für Seuchenüberwachung, Tests und öf fentliche Gesundheitsdienste im Rahmen ihrer koordinierten Bemühungen zur Bekämpfung des COVID- 19-Ausbruchs anfordern. |
IFC | Sozial | Die Weltbankgruppe, der die IFC angehört, wird die Entwicklungsländer bei der Stärkung ihrer Gesundheitssysteme und der Verbesserung des Zugangs zu Dienstleistungen unterstützen. Ziele dabei sind der Schutz von Menschen vor der Epidemie, eine verstärkte Seuchenüberwachung, Finanzierung von Maßnahmen im öffentlichen Gesundheitswesen und Verringerung der wirtschaftlichen Auswirkungen durch Zusammenarbeit mit dem Privatsektor. |
Nordic Investment Bank | COVID-19- Anleihe | Durch Kredite werden die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen vorangetrieben, die zur Verbesserung des Gesundheitszustands und zum Erhalt des Lebensstandards von Gruppen beitragen, die durch COVID-19 in Schwierigkeiten geraten sind. Insbesondere betrifft dies Finanzierungsmöglichkeiten für betroffene kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) sowie große Unternehmen, die im Sektor für medizinische Ausrüstung und Gesundheitsversorgung tätig sind und mit einer erhöhten Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen konfrontiert sind. |
Entwicklungsbank des Europarates | Sozial | Unterstützung für Gesundheitseinrichtungen, um den Erwerb von medizinischer Ausstattung und Verbrauchsmaterialien im Rahmen von Notfallverfahren, die Sanierung und den Umbau von Bereichen und Krankenstationen sowie die Mobilisierung von zusätzlichem Fachwissen abzudecken. Des Weiteren werden Hilfen für KMUs und kommunale Unternehmen bereitgestellt, vor allem um Arbeitsplätze zu erhalten und die Weiterführung von laufenden Investitionsvorhaben der Kommunen zu ermöglichen. |
Europäische Investitionsbank | Nachhaltig Bereitstellung von Krediten für Gesundheitsprojekte, die | Bereitstellung von Krediten für Gesundheitsprojekte, die wesentlich zu einem breiten Zugang zu bezahlbaren Gesundheitsleistungen beitragen (SDG 3). Gemäß einem nationalen/internationalen Notfallreaktions- oder Bereitschaftsplan für den Gesundheitssektor werden mit Nachhaltigkeitsanleihen jetzt auch Projekte finanziert, die direkt mit der Bekämpfung von COVID-19 verbunden sind. Dazu gehört die Unterstützung von nationalen Gesundheitsbehörden, Krankenhäusern, Laboreinrichtungen und Netzwerken. |
Quelle: Issuers New Deal Presentations, 2020
Die aktuelle Krise hat jedoch zusätzliche Impulse gegeben, um die Emissionstätigkeit von grünen auf soziale und nachhaltige Anleihen auszuweiten. Die IFC legt beispielsweise seit 2017 soziale Anleihen auf, wobei sich der Ausgabewert der 28 Anleihen zum 31. Dezember 2019 auf 1,46 Mrd. US-Dollar belief2. Die jüngst emittierte soziale Anleihe hat indessen einen Emissionswert von 1 Mrd. US-Dollar, womit die IFC ihren Bestand an sozialen Anleihen auf einen Schlag fast verdoppelte. Die weltweite Emissionstätigkeit bei Anleihen mit spezifischer Verwendung der Emissionserlöse spiegelt diesen Trend weitgehend wider. Der Anteil sozialer Anleihen beträgt im laufenden Jahr rekordhohe 18 % und es wird davon ausgegangen, dass sich dieser Trend während und nach der Pandemie fortsetzen wird (Abbildung 3).
Abbildung 3: Aufteilung von grünen, nachhaltigen Emissionen 2019 und 2020 (lfd. Jahr)
Quelle: Bloomberg, 2 April 2020
Von der psychologischen Warte aus gesehen sind Anleger in der Regel monothematisch und können sich daher nur mit jeweils einer einzigen attraktiven Anlageidee befassen. Früher galt das Anlegerinteresse vorwiegend dem Klimawandel. Während diesem natürlich auch weiterhin große Bedeutung zukommt, rückt das Segment in den Hintergrund, da für Anleger die akute COVID-19-Krise im Mittelpunkt steht. Unserer Prognose nach werden zur Eindämmung der aktuellen Gesundheitskrise vermehrt soziale Anleihen aufgelegt. Der Klimawandel dürfte jedoch nach der COVID-19-Pandemie seine Rolle als wichtiges ESG-Thema zurückerlangen, obwohl das soziale Anlagethema weiterhin hoch im Kurs stehen wird.
Idealer zeitpunkt für die ausgabe von staatsanleihen
Die derzeitige Krisensituation bietet Regierungen Gelegenheit, in die Fußstapfen von supranationalen Organisationen zu treten und als Reaktion auf die Krise Staatsanleihen auszugeben. Die Ausgabe von Staatsanleihen, deren Emissionserlöse für spezifische Belange verwendet werden, ist nichts Neues. In den letzten drei Jahren wurden solche Papiere von vielen Ländern aufgelegt, darunter die Niederlande, Frankreich, Irland und Belgien (durchweg grüne Anleihen).
Was sich bei der Ausgabe dieser Staatsanleihen interessanterweise abzeichnet, ist, dass britische Investoren beständig zu den größten Käufern gehören. Bei der jüngsten sozialen Anleihe des Europarates beispielsweise stellten sie 14 % der Käufer (übertroffen nur von Frankreich mit 25 % und Asien mit 16 %)3. Trotz des großen Anlegerinteresses hat das Vereinigte Königreich jedoch bisher noch keine solche Staatsanleihe aufgelegt. Unserer Ansicht nach stellt die aktuelle Krise indessen einen idealen Zeitpunkt für eine britische soziale Staatsanleihe dar, mit der nicht nur die aktuelle Krisensituation, sondern auch längerfristige gesellschaftliche Problematiken angegangen werden können.
Umwelt oder soziales?
Dementsprechend können wir erste Unternehmen ausmachen, die sich auf die soziale Dimension des Geschäfts im Kampf gegen COVID-19 konzentrieren. Die Krise rückt die Sozialstandards von Firmen für wichtige Stakeholder wie Beschäftigte, Lieferanten und Kunden in den Vordergrund. Beispiele dafür sind Uber und Lyft, die gemeinsam mit Krankenhäusern, Kommunalverwaltungen und gemeinnützigen Organisationen kostenlose Fahrten für wichtige Arbeitskräfte anbieten – von Beschäftigten in Lebensmittelgeschäften, die zusätzliche Nachtschichten leisten, bis zu Tafelkunden, die aus Gebieten mit unsicherer Ernährungslage kommen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass COVID-19 für Gemeinschaften weltweit ganz neue Zeiten eingeläutet hat. Die Ausgabe von sozialen Anleihen zur Bekämpfung der Pandemie ist begrüßenswert. Es sind jedoch zusätzliche Emissionen notwendig und die Regierungen sind aufgefordert, soziale Anleihen aufzustocken sowie zu strukturieren. Wir rechnen für die Zeit nach der Krise mit weiteren Verhaltensänderungen von Unternehmen, in deren Rahmen sich diese verstärkt sozialen Belangen zuwenden, und wir sind überzeugt davon, dass soziales Investieren auf Dauer Bestand hat.